Handy und Internet – Entwicklungspotenziale und Risiken für Jugendliche
Nutzung von Handys und Internet
Handys und Internet-Angebote sind aus dem Alltag junger Menschen nicht mehr wegzudenken. Laut der aktuellen Studien KIM (Kinder und Medien 2008) und JIM (Jugendliche und Medien 2009) des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest verfügen 52% der Kinder zwischen 6 und 13 Jahren und 97% der Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren über ein Handy. Soziale Netzwerke im Web oder Online-Communities wie SchülerVZ oder MySpace werden von Jugendlichen immer stärker frequentiert. 72 Prozent geben an, diese täglich bzw. mehrmals pro Woche zu nutzen. Auch bei den Kindern erhalten Social Networks ein immer größeres Gewicht bei der Mediennutzung (siehe auch „Daten und Fakten zur Handy- und Internetnutzung“ in diesem Kapitel). Hinzu kommt, dass die beiden ehemals getrennten Medien- und Kommunikationswelten zunehmend zusammenwachsen und auch deswegen einen Bedeutungszuwachs erfahren werden. Die pädagogische Auseinandersetzung mit diesen Kommunikationsformen ist daher auch in der Schule dringend und notwendig.
Funktionen des Handys
Handys sind inzwischen mit einer Vielzahl von Funktionen ausgestattet, die über den Bereich der Telefonie weit hinausgehen. Hierzu gehören SMS, MMS (Multimedia Messaging Service), MP3-Player, Spiele, Foto- und Videofunktionen, Internetzugang, Möglichkeiten der Handy-Ortung und einiges mehr. Für Kinder ist es vor allem als kurzweiliges, kreatives Spielzeug interessant. Kommunikative Funktionen erhalten mit dem Älterwerden ein stärkeres Gewicht. Als Kommunikationsgerät dient es den Jugendlichen der Organisation ihres Alltags und strukturiert in dieser Hinsicht das
tägliche Leben.
Handy – Potenziale aber auch Missbrauchsmöglichkeiten
Die Multifunktionalität des Handys birgt kreative Potenziale, aber auch Risiken. Betrachtet man beispielsweise die Film- und Fotofunktionen, so können diese einerseits zu einem produktiven und nicht nur rezeptiven Umgang mit Bildern führen, wie das filmische oder fotografische Dokumentieren, das Inszenieren, das Bewerten, das Collagieren und andere Formen ästhetischer Praxis. Über das Inszenieren von Settings, über die Selbstinszenierung sowie durch das Präsentieren der Bilder kann das Handy zu einem wichtigen Faktor in der Identitätskonstruktion werden: Mit der Produktion und Veröffentlichung von Selbstbildnissen, von Bildern gemeinsamer Erlebnisse entwerfen die Jugendlichen ein eigenes, nicht selten „ideales“ Bild von sich selbst. Diese Darstellungsformen sind oftmals Gegenstand der Kommunikation mit Freunden, die das Überdenken und Weiterentwickeln der Selbstkonstruktion zur Folge haben kann. Andererseits sind mit diesen Funktionen auch Missbrauchsmöglichkeiten gegeben, wie das sogenannte „Happy Slapping“ – das Inszenieren und Filmen von Gewalthandlungen – das „Cyber-Bulling“ – die Verbreitung vertraulicher oder entstellender Fotos oder Videos – oder Download und Weiterleitung gewalthaltiger oder pornografischer Inhalte oder generell die Verletzung des Persönlichkeits- und des Urheberrechts.
Internet – Doppeldeutigkeit von positiven Möglichkeiten und Gefahren
Diese Doppeldeutigkeit von positiven Möglichkeiten einerseits und Gefahren andererseits lässt sich auch hinsichtlich der neueren Internetangebote – der sogenannten Web 2.0-Angebote – konstatieren. In den Social Networks können Inhalte ohne informationstechnische Fertigkeiten schnell und einfach veröffentlicht werden. Die alte Brecht’sche Utopie, dass jeder Empfänger zum Sender werden möge, scheint damit zumindest technisch in greifbare Nähe gerückt zu sein. Die Mitglieder der Netzwerke haben die Möglichkeit, nicht nur passiv Inhalte zu rezipieren, sondern sich aktiv in das Netzgeschehen einzubringen. Social Networks wie MySpace, SchülerVZ, StudiVZ, Twitter oder Facebook bieten die Möglichkeit, persönliche Profile zu veröffentlichen und unterstützen mit effektiven Technologien Austausch und Vernetzung mit vielen anderen Teilnehmern. Auf diese Weise bieten sie virtuelle Begegnungsräume mit dem Vorteil, unkompliziert und schnell eine große Menge Kontakte herzustellen.
Die Netzwerke sind für viele Jugendliche zu einem wichtigen Instrument des Identitäts- und Beziehungsmanagements geworden. Um in der Gruppe des Netzwerkes eine Bedeutung zu erhalten, müssen sie einen attraktiven, aber auch „angemessenen“ Ausdruck ihrer Persönlichkeit auf ihren Profilseiten entwickeln. Die Selbstdarstellungen haben den Charakter eines Textes, den die Jugendlichen für sich selbst, aber auch in Auseinandersetzung mit den „Freunden“ permanent fortschreiben. Mit erzählten Geschichten, dem Spiel mit Sprache sowie mit Bildern und Sounds wird letztlich die eigene Identität fortwährend reflektiert. Die vorherrschenden Beziehungsformen hierbei sind die in den Sozialwissenschaften diskutierten „schwachen Bindungen“, die in modernen Gesellschaften an Bedeutung gewinnen. Anders als „starke Bindungen“, die exklusiver, emotionaler, behäbiger und zeitaufwendiger sind, können „schwache Bindungen“ Brücken zwischen ansonsten isolierten Gruppen oder Personen schlagen, soziale Distanzen überwinden und einen breiten Informationsfluss über viele Gruppen hinweg erreichen (Zur Theorie „schwacher Bindungen“ vergl. Granovetter, Mark; 1973: The Strength of Weak Ties. American Journal of Sociology, Volume 78, Issue 6. In: http://static.twoday.net/networking/files/TheStrengthofWeakTies-pdf.pdf [Zugriff am 20.04.2010]).
Die Fähigkeit eines Akteurs, in einem sozialen Beziehungsgeflecht neue Kontakte herstellen, Informationen gewinnen und Ressourcen mobilisieren zu können, wird in der flexibilisierten und globalisierten Welt zu einer karriereentscheidenden Schlüsselkompetenz. Und diese Schlüsselkompetenz wird in den Netzwerken des Web 2.0 eingeübt. Hierin liegen positive Entwicklungspotenziale, aber ebenso Risiken und Missbrauchsmöglichkeiten. Wenn die „schwachen Bindungen“ zu dominant werden, drohen die Beziehungen im echten Leben zu verflachen. Wenn die Selbstdarstellung zu offenherzig gerät, können persönliche Daten gegen die eigenen Interessen kommerziell ausgebeutet oder persönlichkeitsschädigend veröffentlicht werden. Wenn die Teilnahme an den Netzwerken zu intensiv und dauerhaft wird, drohen schützende Rückzugsräume jenseits des Netzes verloren zu gehen. Die geplante DVD setzt an den beschriebenen Ambivalenzen der Handy- und der Web 2.0-Welt an. Sie enthält Lern- und Informationsmaterialien, die einerseits über Gefahren und Risiken beider Kommunikationswelten aufklären und sensibilisieren und andererseits zu einer aktiven und kompetenten Realisierung der positiven Potenziale beitragen.
Mathias Fechter